Yukos-Urteil: Pause im Weltkrieg der Anwälte

Wie ein Gericht in Holland die Russen wieder für Europa begeistert

Fast unbemerkt von der Welt­öffentlichkeit kippte ein gewöhnliches Zivilgericht in Den Haag das 50-Milliarden-Dollar-Urteil des internationalen Schiedsgerichts im Fall „Yukos“. Wir fassen zusammen, was geschehen ist und welche Folgen das neue Urteil hat.
 
Von Bojan Krstulovic

„Der Westen hat entschieden, den Druck auf Russland zu mindern.“ / RIA Novosti

„Der Westen hat entschieden, den Druck auf Russland zu mindern.“ / RIA Novosti

Als der Kreml 2004 an Michail Chodorkowskij ein Exempel statuierte, kamen nicht nur der politisch zu ambitionierte Oligarch und seine russischen Mitstreiter unter die Räder. Auch ausländische Investoren verloren ihr Eigentum, schließlich war Chodorkowskijs Ölkonzern Yukos einer der attraktivsten Konzerne weltweit. Dieser „Kollateralschaden“ interner Machtkämpfe zwischen dem Präsidenten und seinen Oligarchen führte zehn Jahre später zu einem Schock-Urteil des Ständigen Schiedshofs in Den Haag: Russland wurde zu 50 Milliarden US-Dollar Schadenersatz an einige der ehemaligen Yukos-Aktionäre verurteilt.

Die wenig rosige Aussicht für die kommenden Jahre: Überall dort auf der Welt, wo Russland staatliches Eigentum hat, können die Aktionäre die lokalen Gerichte veranlassen, dieses Eigentum zu konfiszieren. Ein juristischer Weltkrieg also, für den die exorbitante Strafsumme auch genug Munition bereitstellt, zumal wegen der ebenfalls anfälligen Zinsen jeden Tag einige Millionen Dollar hinzukommen.

Zuletzt unterlag Russland in dieser globalen Auseinandersetzung in Frankreich und Belgien, wo russisches Staatseigentum gemäß dem Spruch des Haager Schiedsgerichts eingefroren wurde. Doch nun gelang ihm ein großer Sieg: Das Zivilgericht der Stadt Den Haag gab Russlands Einspruch gegen das Urteil von 2014 statt und annullierte es. Von den zahlreichen Argumenten, die Russland anführte, brachte nur ein rein formales den Erfolg: Das Schiedsgericht sei nicht befugt gewesen, den Streit zwischen dem russischen Staat und den Aktionären eines russischen Unternehmens zu verhandeln, so die Begründung des Zivilgerichts.

Streitpunkt ist der internationale Vertrag, auf dessen Gültigkeit auch für Russland die Kläger pochen: die Energiecharta. Entscheidend für die Zuständigkeit des Haager Schiedsgerichts ist die Frage, ob die Charta zum Zeitpunkt der Zerschlagung von Yukos in Russland Geltung hatte. Unbestritten ist, dass Russland das Dokument zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert hat. Die Kläger verweisen jedoch auf den Umstand, dass in der Charta eine provisorische Geltung bis zu ihrer endgültigen Ratifikation vorgesehen sei, sofern der Staat dem nicht ausdrücklich widerspreche – was Russland nicht getan habe. Dieses Argument hat das Zivilgericht von Den Haag in erster Instanz nicht überzeugt. Die Frage dürfte nun in den höheren Instanzen bis hin zum Obersten Gericht der Niederlande erneut beantwortet werden.

Bis dahin dürften Jahre vergehen. Die Umsetzung des Urteils von 2014 ist derweil nur für die Niederlande selbst ausgesetzt, in anderen Ländern können die Kläger weiterhin vor Gericht auf Beschlagnahmung von russischem Staatseigentum drängen. Allerdings hat die Verteidigung mit dem Urteil des Haager Zivilgerichts einen neuen Trumpf in der Hand, der einen dunklen Schatten auf die Gültigkeit des Schiedsgerichts-Spruchs wirft.

Die meistbeachtete Reaktion auf das Urteil kam von Michail Chodorkowskij selbst, der selbst nicht zu den Klägern gehört: „Der Westen hat entschieden, den Druck auf Russland zu mindern“, twitterte er. Chodorkowskijs Unterstellung, in Europa würde die Politik Einfluss auf die Gerichte ausüben, wurde in Russland auch von gewohnt Europa-kritischen Kommentatoren zurückgewiesen. „Man darf nicht nach Politik suchen, wo keine ist“, ließ etwa der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma Alexandr Romanowitsch mitteilen. Wie man das Urteil verteidigt, ohne die europäische Justiz allzu sehr loben zu müssen, machte dann ein anderer Politiker vor: Senator Andrej Klischas sagte gegenüber RIA Nowosti, das neue Urteil zeige, dass das Urteil von 2014 „absolut politisiert“ gewesen sei.

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