Mauerfall in Kaliningrad: Die DDR in einer russischen TV-Serie

Im Agentenmilieu ist nichts, wie es scheint. Das gilt auch für eine TV-Serie namens „GDR“ (DDR), die rund um den Mauerfall in Ostberlin alle gegen alle spionieren lässt und in Russland gerade für viel Gesprächsstoff sorgt.

Aus dem Vorspann: eine Art DDR-Wappen in Zauberwürfel-Optik (Foto: Screenshot)

„GDR“ ist gerade zwei Minuten alt, als KGB-Major Alexander Netscha­jew in Westberlin von einem Spitzel ein hochbrisantes Dossier in die Hand gedrückt bekommt. Man schreibt das Jahr 1987, Mathias Rust ist mit seiner Cessna auf dem Weg nach Moskau. Der Informant hat erfahren, dass sich in einem Koffer an Bord des Flugzeugs – offenbar ohne das Wissen von Rust – eine biologische Massenvernichtungswaffe befindet, „irgendein Virus“. So soll es in dem Schreiben stehen, das die Überschrift „Bundesrepu­blik Deutschland“ trägt. Das Papier ist nur eine Sekunde im Bild, doch wer an dieser Stelle die Pausentaste drückt, um selbst mal ein wenig in geheimen Dokumenten herumzuschnüffeln, der stellt bei genauerer Betrachtung fest, dass es sich um einen Ausdruck des deutschen Wikipedia-Eintrags zu Mathias Rust handelt.

„Merkt doch keiner“, werden sich die Filmemacher gesagt haben. „Merkt doch keiner“ wäre überhaupt ein passender Untertitel für ihre Serie, die, wie der Name schon sagt, zum Großteil in der DDR spielt. Immer mal wieder taucht im Hintergrund ein Plakat oder Ladenschild auf, damit das Ganze authentischer wirkt. Schon mal was von der „Lafthunsa“ gehört? Oder wie wäre es mit „Keine Gevalt“, mit „Kaffehaus“?

Wenn Berlin in Russland ist

Gedreht wurde unter anderem im ehemals finnischen Wyborg nördlich von St. Petersburg, das den „französischen Sektor“ von Westberlin geben durfte, und in Kaliningrad, dem früheren Königsberg. Dort entstanden auch Szenen, die den Mauerfall 1989 nachstellen sollen.

In Ostberlin, pardon: Kaliningrad, hofft man auf Beistand von Gorbi. (Foto: ANO Festivalnaja Direkzija)

Für eher ländliche Aufnahmen standen Städte in Belarus Pate. Wenn es laut Skript in Ostberlin zur Sache geht, wird der Berliner Fernsehturm als Erkennungsmerkmal eingeblendet. Und auch wenn es der Moskauer Pionierpalast ist, der ein Gebäude in der DDR-Hauptstadt mimt, dann ragt der Fernsehturm per Computergrafik trotzdem am Horizont in die Höhe. Merkt doch keiner.

„GDR“ ist seit 16. Februar beim russischen Streamingdienst Wink zu sehen, der gleich alle 14 Folgen auf einmal veröffentlichte. Die TV-Verwertung im Sender NTW begann Ende Februar. Produziert wurde die Serie unter anderem von Fjodor Bondartschuk, der vor allem als Regisseur bekannt geworden ist („Stalingrad“, „Die Neunte Kompanie“).

Historische Parallelen

Dazu muss man wissen, dass „GDR“ für die Russen einen ganz besonderen Klang hat. Kein Land jenseits der heute unabhängigen Sowjetrepubliken war ihnen näher als das „sowjetische Deutschland“. Wer dort seinen Wehrdienst ableisten konnte, der schätzte sich glücklich und schwärmt in der Regel noch heute davon, was das doch für eine Herrlichkeit war, diese DDR. Wer brauchte eigentlich den Kommunismus, wenn der „real existierende Sozialismus“ doch so schöne Seiten hatte?

Doch die DDR-Bürger sahen ihr Land überwiegend mit anderen Augen. Auch in der Film-GDR rumort es und in Moskau begreift Michail Gorbatschow „unseren letzten Verbündeten“ nicht mehr. Von Erich Honecker, der sich gegen Reformen sträubt, hat er keine hohe Meinung und fährt 1989 nur widerwillig zum 40. Republikgeburtstag nach Ostberlin.

Gorbatschow, sein Außenminister Schewardnadse, Honecker, der spätere russische Präsident Jelzin, Dean Reed (der hier Jack Evans heißt) und Markus Wolf, der ehemalige Chef des DDR-Auslandsnachrichtendienstes – sie alle haben als Filmfiguren in „GDR“ mal kürzere, mal längere Auftritte. Man will nicht nur eine fiktive Geschichte erzählen, sondern eine, die auf wahren Begebenheiten beruht, wie es im Vorspann heißt.

Die Stasi in Aktion

Wahr ist an der Biobombe im Gepäck von Mathias Rust bekanntlich nichts, aber westlichen Geheimdiensten ist schließlich alles zuzutrauen, oder? Major Netschajew rettet sich nach einer wilden Verfolgungsjagd gerade so auf die DDR-Seite der Berliner Grenze und kann mit letzter Kraft die Nachricht übermitteln, Rust bloß nicht abzuschießen, damit es nicht zur Katastrophe kommt. Der Informant auf dem Beifahrersitz hat jedoch einen Kopfschuss abbekommen und stirbt, weshalb Netschajew die nächsten zwei Jahre in der KGB-Zentrale Zeitungen sortieren darf, statt bei tollkühnen Missionen seinen Mann zu stehen. Als er dann doch einmal bei einem Moskauer Gastspiel des Friedrichstadtpalast-Tanzensembles nach dem Rechten sehen soll, gibt es gleich mehrere Tote. Und der Agent, seiner Sache treu ergeben, wird nach Ostberlin abkommandiert, wenn auch auf Bewährung.

Der britische Politiker Ben Wallace, bis letzten Sommer Verteidigungsminister, hat neulich der „Times“ gesagt, Deutschland sei von russischen Geheimdiensten „ziemlich durchdrungen“. So kommentierte er die Taurus-Abhöraffäre um Bundeswehroffiziere, die mögliche Lieferungen des Marschflugkörpers an die Ukraine diskutieren. In „GDR“ ist das Berlin der Wendezeit nicht nur von Agenten „durchdrungen“, das wäre eine Untertreibung. Es scheint geradezu selbstverständlich zu sein, dass alle möglichen Geheimdienste sich ohne Ende gegenseitig ausspionieren. Man schenkt sich nichts, auch wenn KGB und Stasi – die in der Serie sogar von den eigenen Leuten so genannt wird – eigentlich auf derselben Seite stehen sollten. Alle sind sie hinter dem „Archiv von Markus Wolf“ her. Warum, ist wenig plausibel und wirkt auch vergleichsweise belanglos vor dem Hintergrund der weltgeschichtlichen Ereignisse, die den Rahmen dafür bilden.

Man spricht Deutsch

So schleppt sich die Handlung dahin. Alle Rollen im Film werden von russischen Schauspielern gespielt. Doch die Film-Deutschen müssen trotzdem Deutsch sprechen, was ungefähr genauso kompetent klingt wie das Schulrussisch eines durchschnittlichen Ex-DDR-Bürgers. Dass dieses Gestammel auch noch auf Russisch übersprochen wird, macht das Zuhören nicht leichter. Das ist wohl auch den Machern aufgefallen, deshalb dürfen sich die wichtigsten Protagonisten, seien sie nun von der Stasi oder der CIA, in einem gebrochenen Russisch artikulieren.

Die meisten Dialoge sind aber ohnehin fakultativ. „Ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist, aber wir beim KGB stellen keine unnötigen Fragen“, sagt ein sowjetischer Agent zu seinem DDR-Kollegen. Nicht Worte, sondern die Stimmung und bestimmte Muster haben „GDR“ in Russland eine durchaus breite Resonanz beschert. Der Zauberwürfel, hier und da ein Trabant, überhaupt die 1980er Jahre, als vieles auf- und am Ende alles zusammenbrach – es wird kräftig an die Erinnerungen derer appelliert, die diese Zeit miterlebt haben. Und auch über die Darstellung des politischen Personals lässt sich schließlich endlos streiten.

Ein abgekartetes Spiel

Michail Gorbatschow kann sich in „GDR“ nur auf seine Frau Raissa verlassen. (Foto: Filmszene)

Immerhin einer Versuchung widersteht „GDR“: Gorbatschow, der vielen im Land als Totengräber der Sowjetunion gilt, weil er mit seiner Perestroika Geister weckte, die er nicht mehr einzufangen wusste, verkommt nicht gänzlich zur Karikatur. Zwar ist er gleich zu Anfang so wankelmütig, wie man es ihm immer nachgesagt hat, und kann sich beim Frühstück noch nicht mal für eine Salatschüssel unter vielen entscheiden. Doch der letzte Generalsekretär der KPdSU entwickelt Visionen, will die Spaltung Europas überwinden und auch für sein Land einen würdigen Platz im gemeinsamen Haus, von dem er so gern spricht. Im Vergleich zu seinem grimmigen und machtbesessenen Gegenspieler Jelzin wirkt er geradezu wie die Menschlichkeit in Person. Und die Beziehung zu seiner Frau Raissa ist die eigentliche Love Story des Films.

Am Ende aber wird Gorbatschow zur tragischen Figur. Unverstanden im eigenen Land und vom Westen hintergangen. Dort hat man bereits im Mai 1985, zwei Monate nach seinem Amtsantritt in Moskau, eine anderes gemeinsames Europa ausgeheckt, nämlich ohne die Russen. Und ihn, Gorbatschow, ausgenutzt, damit dank seiner Politik die Mauer fällt und Deutschland wiedervereinigt wird. Historisch ist das Unsinn. Aber vielleicht merkt das ja keiner.    

Tino Künzel

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