„Ausländische Agenten“: Die Schlinge zieht sich zu

Sogenannten „ausländischen Agenten“ in Russland ist es künftig verboten, ihre Arbeit mit Werbung zu finanzieren. Damit wird zahlreichen journalistischen Projekten die finanzielle Grundlage entzogen, teilweise sind sie bereits eingestellt oder zusammengestrichen. Auf Youtube machen einige, deren Videos ein Millionenpublikum erreichen, nun eine Rechnung auf.

Auf Youtube versorgen sich viele Russen mit unabhängigen Informationen. (Foto: Youtube)

Im Oktober 2021 wurde Dmitri Muratow*, dem langjährigen Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, der Friedensnobelpreis verliehen. Noch im selben Monat traf der Journalist bei einer Veranstaltung des sogenannten Waldai-Klubs auf Wladimir Putin und stellte dem russischen Präsidenten eine Frage. Die Justiz habe inzwischen Dutzende Journalisten und Bürgerrechtler zu „ausländischen Agenten“ erklärt – ohne Gerichtsverfahren, ohne Vorlage irgendwelcher Beweise oder die Möglichkeit, sich gegen einen solchen Vorwurf zu wehren. Wie könne verhindert werden, dass Menschen dieser „Stempel“ willkürlich aufgedrückt werde? Seien die Kriterien nicht sehr verschwommen? Zumal angesichts der Schwere der Anschuldigung: Für viele, so Muratow, klinge „ausländischer Agent“ zweifellos nach „Volksfeind“.

Wie viele sind betroffen?

Putin antwortete sinngemäß, niemand werde in Russland wegen einer eigenen Meinung benachteiligt. Die Gesellschaft habe allerdings ein Recht darauf, von einer ausländischen Finanzierung zu erfahren, wenn diese Meinung in der innenpolitischen Auseinandersetzung zum Tragen kommt. Damit klar sei, woher der Wind weht. Ansonsten könnten die Betroffenen uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen, wie sie das auch zuvor getan hätten. Und ohnehin, würden in Russland etwa massenhaft Leute als „ausländische Agenten“ deklariert? Diese Gefahr scheine ihm „sehr übertrieben“, so Putin.

Damals waren in Russland 32 Medien als „ausländische Agenten“ eingestuft. Heute sind es über 70. Bei Einzelpersonen, die der russische Staat als Medien klassifiziert, stieg die Zahl von 56 auf mehr als 300. Auch Muratow selbst wird seit September des vorigen Jahres als „ausländischer Agent“ geführt. Sein Amt als Chefredakteur hat er aufgegeben.

Einschneidende Neuerungen

„Ausländische Agenten“ unterliegen zahlreichen Beschränkungen. Sie dürfen keiner Lehrtätigkeit an staatlichen oder kommunalen Bildungseinrichtungen nachgehen, keine öffentlichen Veranstaltungen organisieren, sich bei Wahlen nicht für oder gegen Kandidaten aussprechen und anderes mehr. Nun hat die Staatsduma zum nächsten und bisher massivsten Schlag ausgeholt und innerhalb von nur zwei Wochen Gesetzänderungen beschlossen, die unabhängigen journalistischen Projekten in ihrer bisherigen Form die finanzielle Grundlage entziehen. Einstimmig wurde Ende Februar eine Vorlage angenommen, die es „ausländischen Agenten“ verbietet, auf ihren Kanälen Werbung zu schalten. Auch die Bewerbung dieser Kanäle ist untersagt.

Man könne nicht „unser Land mit Geld aus dem Ausland schlechtmachen und hier noch an Werbung verdienen“, begründete der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin die Initiative. Der Abgeordnete Anton Gorelkin wollte das Vorgehen nicht als Zensur verstanden wissen, wie er gegenüber „Podjom“ sagte: Keiner halte die „ausländischen Agenten“ davon ab, ihre Meinung zu äußern, selbst Geld könnten sie damit machen, nur müssten sie sich nach anderen Finanzierungsquellen umsehen, anstatt in der russischen Wirtschaft zu „parasitieren“.

Erste Konsequenzen

Wolodin meldete sich einige Tage nach der Abstimmung auf Telegram zu Wort und freute sich, dass das Gesetz zwar noch gar nicht in Kraft getreten sei, aber bereits „seine Effektivität gezeigt“ habe. „Mancher hat die Schließung seines Projekts angekündigt, andere verkleinern ihre Redaktionen.“ Verstöße gegen das Gesetz ziehen empfindliche Geldstrafen nach sich und können unter Umständen sogar zu einer Haftstrafe führen.

Das bringt selbst erfolgreiche Projekte auf Youtube an den Rand der Aufgabe – oder darüber hinaus. So hat die Journalistin Katerina Gordejewa*, die sich mit Interviews einen Namen gemacht hat, das Format auf Eis gelegt. Auf Telegram schrieb sie: „Wir sind keine Agenten von niemandem. Oder höchstens von unserem Gewissen und unserem Beruf.“ Aber nun sei „Werbung bei uns ein Verbrechen“. Und man könne „nicht davon ausgehen, dass sich jemand dazu aus Edelmut entschließt, seine Geschäfte, sich selbst und seine Nächsten damit einem Risiko aussetzt“.

Alexej Piwowarow*, dessen Youtube-Kanal „Redakzija“ 4,1 Millionen Follower hat, gab bekannt, sich von seinem Team trennen zu müssen. „Jetzt bin ich hier praktisch allein und werde das tun, was ich mir leisten kann“, sagt er in einem Video. „Letztlich ist es so, dass ich außer dem, was ihr hier seht, ja auch nichts kann. Aber das, was ich kann, ist nicht verkehrt.“

Spenden als Ausweg?

Ilja Warlamow*, einer der populärsten Blogger Russlands mit 4,9 Millionen Followern, rechnete vor: Im Frühjahr 2022 ist die sogenannte Monetarisierung, also die prozentuale Beteiligung von Youtubern an den Einnahmen aus Werbeintegrationen in ihren Videos, praktisch zusammengebrochen. Seitdem verdienen russische Blogger nur noch an ihren Zuschauern aus dem Ausland. Bei russischsprachigem Content ist die Reichweite außerhalb Russlands allerdings sehr begrenzt. Zudem, so Warlamow, seien 70 Prozent seiner eigenen Werbekunden abgesprungen, nachdem er gegen die russische „Sonderoperation“ Stellung bezogen hatte: „Es gab noch gar keine Verbote, aber die Leute haben es einfach mit der Angst bekommen.“

Heute trage sich das Projekt gerade so selbst. Um weiterzumachen wie bisher und sein Team von 50 Mitarbeitern zu unterhalten, brauche es vier Millionen Rubel (etwa 40.000 Euro) pro Monat als Ausgleich für die wegfallenden Werbegelder. Warlamow rief seine Zuschauer zu Spenden auf. „Das schaffen wir nur gemeinsam“, sagte er und äußerte die Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft sich für den Erhalt von unabhängigem Journalismus in Russland starkmachen werde.

Lizenzgebühren im Visier

Auch der Journalist Maxim Katz* (2,1 Millionen Follower) appellierte auf Youtube an sein Publikum, den Kanal mit einmaligen oder regelmäßigen Spenden zu unterstützen. Nach dem Wegfall der Monetarisierung habe man nur durch Werbung bisher überlebt. Finanzielle Druckmittel seitens des Staates seien ein „effektives Instrument, unbequeme Stimmen zu bekämpfen“, so Katz in einem Video. Sein Team bestehe aus 34 Personen. Den monatlichen Finanzierungsbedarf bezifferte er mit etwa 30.000 Euro.

Duma-Chef Wolodin denkt derweil schon laut über weitere Maßnahmen nach. Wie er auf Telegram schrieb, seien „Vorschläge eingegangen“, die Zahlung von Lizenzgebühren für Urheberrechte von „ausländischen Agenten“ zu unterbinden. „Es geht nicht an, Lumpen, die Russland mit Dreck bewerfen, zu ernähren, indem ihnen Geld auf Kosten unserer Bürger überwiesen wird“, so Wolodin.

* in Russland als „ausländische Agenten“ gelistet

Tino Künzel

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: